Jahrzehnte haben wir in der ELKB an immerwährendes Wachstum
geglaubt und das auch erlebt. Alles wurde mehr: mehr Kirchen, mehr
Gemeindehäuser, mehr Gemeindeglieder, mehr Stellen, mehr Geld, mehr Aufgaben,
mehr Ideen, mehr Material, mehr Konzepte, bessere Qualität. Größer werdende
Organisationen haben steigenden Regelungsbedarf.
Also auch mehr Gremien, mehr Sitzungen, mehr Schleifen, mehr Kontrolle, mehr
Gesetze, mehr Verwaltung, mehr Bürokratie. Jedes Verfahren, das einst erdacht
und etabliert wurde, hat gute Gründe. Vieles, was uns heute als Ballast
erscheint, war einst die gute Antwort auf eine damals aktuelle Herausforderung.
„In Organisationen entsteht nichts ohne einen bestimmten Zweck“, sagt der
Berater Torsten Groth. „Das Problem ist, es besteht oft auch dann weiter, wenn
dieser Zweck verloren gegangen ist.“ Die Prozesse sind dann, wie der Systemiker
es ausdrückt, „zu nicht hinterfragten Spielregeln geworden, die sich analog zu
sich selbst vermehrenden Prozessen aus sich selbst heraus rechtfertigen.“ (vgl. managerSeminare Heft 258 September 2019, S. 38)
Und mal ehrlich: Haben wir nicht alle ein Ohr, das die Texte der Bibel als Aneinanderreihung von Apellen, ja als immerwährenden Aufforderungskatalog hört? Tut dies, macht das, geht hin, gebt euch hin, verschenkt euch, macht zu Jüngern alle Völker, heilt, teilt, dankt, lobt, bittet, sät, erntet, sucht, kehrt um, baut auf, .... Thomas Prieto Peral hat es 2019 auf den Punkt gebracht: „Das ganze System unserer Kirche ächzt unter dem impliziten Anspruch, allen und allem gerecht zu werden. Das ist eine komplette Überforderung, die aber den Arbeitsalltag vieler Mitarbeitender massiv prägt.“ (Lindauer Beschluss, S. 11)
Mit dem Beschluss der kirchenleitenden Organe zu PuK in Lindau wurde nicht nur der erste Perspektivwechsel („Von der Strukturfixierung zur Konzentration der Aufgaben“, besser bekannt als das „PuK-Dreieck“) beschlossen. Ein zweiter, mindestens ebenso bedeutender Perspektivwechsel wurde intoniert:
Selbstkritisch müssen wir sagen, dass wir alle ganz am Anfang sind. Ein Heft der „Nachrichten“ ist zum Thema erschienen, eines in der Reihe „WeiterSehen“ vom Amt für Gemeindedienst, eine Arbeitsgruppe hat sich Gedanken gemacht, es gab 2019 einen bayernweiten KV-Tag mit einem Workshop zum Lassen und zunehmend an vielen Orten weitere Initiativen und Versuche. Hier traut sich ein Pfarrkonvent ans Thema, dort ein Kirchenvorstand. Ich traue mich zu behaupten, dass viele Menschen in der Kirche eine tiefe Sehnsucht nach Einfachheit, Klarheit und Reduktion verbindet. Wir wissen, dass weniger oft mehr ist. Der Trend des Ausmistens und Entrümpelns geht weit über das Fasten hinaus.
Es wurde geforscht und geschrieben über die Gründe, die das
Lassen so schwermachen. Etwas wegzuwerfen bedarf immer einer aktiven
Entscheidung – etwas zu behalten nicht.
Es fehlt uns als Organisation die Erfahrung, Dinge kontinuierlich zu verändern.
Unsere „Betriebskultur“ ist auf größtmögliche Stabilität ausgerichtet und von
langem Gedächtnis.
Da mag man noch so oft das „wandernde Gottesvolk“ als Bild beschwören, am Ende
siegt häufig die Logik des „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Wir haben
uns gedankliche Hilfskonstruktionen gebastelt: Was von all dem, was wir heute tun,
würden wir nicht mehr neu beginnen, wenn wir es nicht schon täten? Ein kluger
Ansatz – aber viel verändert hat das in der kirchlichen Wirklichkeit noch
nicht.
Ja, wir wissen, dass die wertschätzende Verabschiedung elementar wichtig ist. Rituale der Würdigung und Trauer wären eigentlich vorhanden. Und doch fühlt sich jedes Verabschieden wie eine schlimme Kränkung und eine vernichtende Niederlage an. Was nicht fortgesetzt wird, trägt den Geschmack des Vergeblichen und der Abwertung automatisch in sich. „Es war wohl nicht gut genug, so wie wir es gemacht haben, sonst würde es ja nicht beendet.“
Das biblische Bild vom Samenkorn, das in die Erde fällt und sterben muss, um neue Frucht zu bringen, hat eher kontraintuitive Leuchtkraft. Es erschließt sich nicht leicht. Dabei hat es zentrales theologisches Potenzial. Gehört nicht das Sterbenmüssen elementar zu unserem christlichen Verständnis von Leben dazu?
Die Bibel hat weitere Anregungen parat: Schenkt nicht Gott
mit dem siebten Tag als Tag der Ruhe eine Grundorientierung für die echte Unterbrechung
und die kluge Besinnung? Wie halten wir es mit den wunderschönen Versen von
„Alles hat seine Zeit“? Darf auch mal etwas enden? Können wir die Speisung der
5.000 verstehen als Gottes Versprechen, das Wenige so zu wandeln, dass es für
alle reicht? Das setzt verflixt viel Vertrauen voraus.
Haben wir das?
PuK ist auch ein geistlicher Prozess. Das war uns im PuK-Team und vielen anderen immer wichtig. In keiner anderen Herausforderung wie der des „Lassens“ sind wir so sehr am Anfang und so sehr angewiesen auf geistliche Besinnung. Vielleicht ist das die Spur im 2. Perspektivwechsel, dass wir die große Transformation nicht schaffen werden ohne Besinnung auf unsere geistlichen Quellen. Die Kraft etwas loszulassen bedarf einer großen Anstrengung und des Vertrauens. Vielleicht gelingt die Öffnung der Hände nur über den Schritt der gefalteten Hände. Die Haltung des Säens und Wachsen Lassens anzunehmen bleibt eine große und schwere Herausforderung.
Brigitta Bogner, PuK-Team